03.12.2016 Diverses

Facebook: Wahlkampf mit Facebook – Norbert Hofer ist österreichischer Bundespräsident

Es ist Montag, der 5. Dezember 2016, Vormittag. Die grünen Parteimitglieder treffen sich in ihren politischen Gremien, um dort zu diskutieren, warum der designierte neue Bundespräsident trotz Geld- und Sachspenden von über 4,7 Mio EUR an den „unabhängigen“ Kandidaten Van der Bellen seit gestern doch Norbert Hofer heißt. Das Wehklagen ist laut und heftig, da […]

Thomas Thaler
8 Min. Lesezeit
9 Kommentare

Es ist Montag, der 5. Dezember 2016, Vormittag. Die grünen Parteimitglieder treffen sich in ihren politischen Gremien, um dort zu diskutieren, warum der designierte neue Bundespräsident trotz Geld- und Sachspenden von über 4,7 Mio EUR an den „unabhängigen“ Kandidaten Van der Bellen seit gestern doch Norbert Hofer heißt. Das Wehklagen ist laut und heftig, da die Partei das Geld dringend für die (vermutlich vorgezogene) Nationalratswahl 2017 brauchen wird. Gründe und Erklärungen für das Debakel werden gesucht, aber nicht gefunden – am Ende einigt man sich auf eine versöhnliche Presseaussendung, dass der Wahlkampf im Großen und Ganzen eh ganz super gelaufen ist.

An dieser Stelle wird der aufmerksamen Leserschaft vermutlich nicht entgangen sein, dass heute eigentlich erst der 3. Dezember ist. Also ein Tag vor der Wahl in Österreich. Der Vorteil an solchen Gedankenexperimenten: man kann beliebig in der Zeit vor und zurück springen. Also bewegen wir uns zurück zum 25. April 2016. Der erste Wahlgang ist Geschichte und zwei Kandidaten kommen in die Stichwahl.

Bei dieser Wahl gab es in Österreich etwa 6,38 Mio Wahlberechtigte – davon sind rund 3,5Mio auf Facebook vertreten. Naheliegend, dass man den Wahlkampf auch (oder besonders stark) auf der größte soziale Netzwerk verlagert. Schauen wir uns also nun gemeinsam an, wie man so etwas plant & konkret durchführt und schlüpfen in die Rolle des Social Media Wahlkampfleiters. Je nach persönlicher Präferenz kann man diese Anleitung natürlich für beide Kontrahenten verwenden. Ich warne an dieser Stelle nur alle politischen Verantwortlichen: Jetzt hier weiterlesen ist sowas Ähnliches wie die rote Pille in Matrix 😉

Konzeption einer politischen Kampagne auf Facebook

In der ersten Phase können wir uns bequem zurücklehnen und aufmerksam zuhören, wie sich die politischen Ägsberden ihre geplanten Inhalte zusammenzimmern. Die ersten Schreiduelle gibt es erst, sobald wir ihnen aufzeigen müssen, dass es für einige dieser Themen schlicht und ergreifend keinen, respektive einen zu kleinen Markt an interessierten Menschen gibt. So wäre der Themenschwerpunkt „Ich werde mich dafür einsetzen, dass es möglichst bald Regelungen für die Emigration zum Mars gibt“ mit einer eher schwachen Priorität zu bewerten.

Tools für das Finden von bedarfsdeckenden Themen gibt es wie Sand am Meer, wir entscheiden uns da mal für Brandwatch und Facelift. Bedarfsweckende Themen sind da schon eine wesentlich größere Herausforderung.

Nach drei Pizzarunden einigen wir uns mit dem Content-Team auf sechs Hauptthemen, die aus unserer Sicht wahlentscheidend sein werden. Diese wollen wir aktiv verbreiten. Immer dabei sind (aus Gründen) die Themen „Selbstbeweihräucherung“ und „Warnen vor dem Konkurrenten“.

Segmentierung der Wählerschaft

Wir zappeln jetzt schon vor lauter Vorfreude, wollen endlich mit der Kampagne loslegen und das großzügig in Form von Spenden zur Verfügung gestellte Steuergeld und sonstige Mittel verbraten. Blöderweise müssen wir noch einiges an Vorbereitungsarbeiten erledigen.

Bei Parteien-Wahlen ist es zwar etwas komplizierter, bei einer Stichwahl gibt es aber grundsätzlich nur fünf Lager:

  • Stammwähler aka Fanboys (A)
  • latent unseren Standpunkten zustimmend (B)
  • undeklariert/uninteressiert (C)
  • latent den Standpunkten unseres Mitbewerbers zustimmend (D)
  • Stammwähler unseres Mitbewerbers (E)

An dieser Stelle sollten wir uns allerspätestens mit einigen der grundlegenden Mechaniken von Facebook vertraut machen. Die Filterbubble sorgt dafür, dass wir A und B noch halbwegs gut mit unseren Inhalten erreichen, C wird schwieriger, D noch schwieriger, E fast unmöglich. Also zwei Herausforderungen: Wie teile ich die vorher angesprochenen Wähler in diese fünf Lager ein und sorge dann dafür, dass ich meine Inhalte und Handlungsaufforderungen dort auch adressieren kann? Wenn es irgendwie geht, auch noch mit minimalem Einsatz von verfügbarem Werbebudget – schließlich will ja auch die Dreieckständerindustrie gut leben.

Wir kommen gerade von unserer Werbeagentur und einem Meinungsforschungsinstitut, haben uns dort von Sinus Mileus und ähnlichem schwer greifbaren Zeugs berieseln lassen und sind gelinde gesagt etwas verunsichert. Jetzt im Mai 2016 ist also genau der richtige Zeitpunkt, um jemanden zu fragen, der sich mit sowas wirklich auskennt. Dieser Wunderwuzzi sagt uns „Kein Problem, ich segmentiere euch das bis auf einzelne Personen herunter“ und zeigt uns auch netterweise, wie das geht.

Schritt 1: Gibt es Futter aus der Vergangenheit?

(Fast) alles auf Facebook Fanpages ist öffentlich einsehbar und auslesbar. Wir schauen uns daher mal den Content der ersten vier Monate (Jänner bis April 2016) des ersten Wahlganges an. 400.000 Kommentare, 960.000 Shares und mehr als 5 Mio Likes, Herzchen und sonstiges. Das sollte mal für den Anfang reichen, ansonsten knallen wir halt noch einige politische Fanpages rein.

Schritt 1: Gibt es Futter aus der Vergangenheit?

Schritt 1: Gibt es Futter aus der Vergangenheit?

Schritt 2: Auslesen der Daten

Jetzt glüht mal die Internetleitung. Für alle diese 3.800 Postings lesen wir automatisiert alle interagierenden User aus. Sprich jeden, der Daumen vergibt, kommentiert oder teilt. Weil Facebook Mitleid mit uns Datenanalysten hat, wird auch eine eindeutige ID mitgeliefert. So können wir einen User jederzeit später wieder identifizieren und zuordnen. Bei den Shares ziehen wir natürlich nur die öffentlichen Beiträge der User.

(Auszug aus Kommentaren bei www.facebook.com/138508202860897/posts/1176174599094247)

Schritt 2: Auslesen der Daten

Schritt 2: Auslesen der Daten

Schritt 3: Qualifizierung und Aufbereitung der Daten

Manuell ordnet der arme Wunderwuzzi nun alle Postings den von uns vorher definierten Themen zu. Das dauert deutlich mehr als drei Pizzen und kostet uns fast eine ganze Palette Redbull.

Nach den ganzen Energydrinks um gefühlte hunderttausend Kalorien dicker, lassen wir nun eine Sentiment-Software darüber gurgeln, die uns jede einzelne Interaktion in der Qualität bewertet. Sprich ist es im Kontext positiv oder negativ für den einen oder anderen Kandidaten. Da gibt es natürlich auch Doppelnennungen wie „Ihr Politiker seid alle hirnkrank“. Ein negatives Kommentar für Van der Bellen ist somit nicht automatisch ein positiver Effekt für Hofer. Ein wütender Smiley für Hofer kann allerdings getrost als Sympathiebekundung für Van der Bellen interpretiert werden.

Wenn wir eine Doktorarbeit schreiben wollten, könnten wir uns nun noch Gedanken über unterschiedliche Gewichtungen machen – für valide Ergebnisse reicht uns ein pragmatischer Ansatz vollkommen aus: Share ist wichtiger als Comment ist wichtiger als Like.

Im englischen Sprachraum gibt es da schon einige Marktteilnehmer, die gute Software anbieten. Für die deutsche Sprache gibt es derzeit nur sehr wenige Firmen, die da brauchbare Ergebnisse liefern können. Wer mal live hineinschnuppern will, kann sich das Twitter-Monitoring zur laufenden Wahl des Kärntner Startups LingRep kostenlos anschauen.

Schritt 3: Qualifizierung und Aufbereitung der Daten

Schritt 3: Qualifizierung und Aufbereitung der Daten

Schritt 4: Scoring

Diese ersten vier Monate sind quasi unsere initale Datenbasis, aufgrund der wir nun die Profile segmentieren. Die Schwellenwerte der einzelnen Lager sind Geschmackssache. Wir nehmen da einfach den Durchschnitt aller in der Datenbank befindlichen Userprofile als Messlatte. Lager C gibt es zu diesem Zeitpunkt noch nicht – das wären dann alle restlichen, noch nicht erfassten Userprofile.

Schritt 4: Scoring

Schritt 4: Scoring

Schritt 5: Anpassen der laufenden Kampagne

Täglich fließen nun die aktuellen Postingdaten aller beobachteten Fanpages in unsere Datenbank ein. Von Mai bis zum Ende des Wahlkampfes waren das dann weitere 790.000 Kommentare, 1,5Mio Shares und mehr als 10Mio Likes, Herzchen und sonstiges.

Über eine Zeitachse können wir nun die „Entwicklung“ einzelner User beobachten. Wie hat sich die Sympathie dieses Menschen für unseren Kandidaten im Laufe des ganzen Wahlkampfes verändert?

Noch wichtiger für das Content-Management ist die Auswertung nach Themen: zB beim fünften Posting über die EU haben sich 4% von Lager A ins Lager B verabschiedet – da sollten wir uns gründlich überlegen, ob wir diesbezüglich noch ein sechstes und siebentes machen wollen. Mit welchem Thema haben wir es geschafft, überproportional viele Lager D Userprofile positiv zu aktivieren? Von diesem Thema sollten wir mehr bringen.

Das Social Media Team unseres Kandidaten bringt unser people-based-listening in Echtzeit natürlich ordentlich unter Druck. Die weinen noch immer diesen old-school Redaktionsplänen nach, wo für Monate im Voraus geplant wurde, was wann veröffentlich wird. Darauf können wir aber keine Rücksicht nehmen. Noch mehr Redbull. Noch mehr Pizzen.

Schritt 5: Anpassen der laufenden Kampagne

Schritt 5: Anpassen der laufenden Kampagne

Schritt 6: Gezielte Werbeunterstützung

Der Druck der Partei auf uns steigt – die Stichwahl wurde irgendwann aufgehoben und muss wiederholt werden. Dann verschicken die Behörden kaputte Wahlkarten und der Termin wird verschoben. Wir haben also quasi die Wiederholung der Wiederholung im Dezember vor uns.

Wir greifen tief in die Trickkiste, um nun Lager D und selbst Lager E massiv anzugreifen. Ist es möglich, die Fanboys unseres Kontrahenten dazu zu bringen, unsere Inhalte gratis in ihrem Freundeskreis zu verteilen? Oh ja – ist es! Wir nutzen die rechtschaffene Empörung der Wutbürger sowie das Bedürfnis mancher Zeitgenossen, andere zu missionieren und liefern ihnen ganz bewusst Content zum Teilen. Wir Fachleute nennen sowas einen Honeypot (darin ist bitte kein Redbull) Und unsere Datenbank lacht: die Wutbürger teilen unsere Inhalte wie verrückt und wir erreichen so die lang ersehnten Lager D und Lager E Profile. Klarerweise können wir dort nicht viele überzeugen, aber steter Tropfen höhlt den Stein.

Jetzt gibt es für uns kein Halten mehr: Wir können seit neuestem auch eine Zielgruppe aus Beitragsinteraktionen bilden. Dort exkludieren wir unsere eigenen Fans und schicken somit um billiges Geld unsere Botschaften direkt ins gegnerische Lager. Aus unserer Themenanalyse sehen wir mit einem Klick, bei welchen Inhalten das am besten funktioniert hat, sprich wo die besten Reaktionen im Lager D und E waren.

Von dem so dramatisch eingesparten Werbebudget kaufen wir weitere Paletten RedBull. Die Datenströme fließen immer schneller und fetter – wir müssen Nachtschichten einlegen, um alles auswerten zu können. Wir arbeiten mittlerweile mit unsichtbaren Dark-Posts, deren Mutationen wir nur an die speziell ausgewählten Zielgruppen verschicken.

Schritt 7: Wahltag ist Zahltag

Ich beschäftige mich seit Jahren mit den technischen Mechanismen von Wahlen in sozialen Netzwerken. Nachdem ich aber in diesen Wahlgang beruflich nicht involviert war, betrachte ich das diesmal ausschließlich durch eine objektive Vertriebs-Brille, nicht durch eine subjektive Politik-Brille.

Aufgrund der mir vorliegenden sechsstelligen Entwicklungsprofile der letzten elf Monate wird Hofer gewinnen, er hat signifikant mehr Leute angesprochen und zu einem Richtungswechsel bewogen. Den Einfluss von Wahlempfehlungen Prominenter konnte ich hingegen nicht empirisch nachweisen.

Nur selten werde ich mich so freuen, wenn ich mich irre. Schließlich sind ja lange nicht alle WählerInnen auf Facebook aktiv.

 

Nachtrag von Thomas Hutter

Hochinteressant und passend zum Thema ist der Beitrag im “das Magazin” mit dem Titel: “Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt“. Der Psychologe Michal Kosinski hat eine Methode entwickelt, um Menschen anhand ihres Verhaltens auf Facebook minutiös zu analysieren. Und verhalf so Donald Trump mit zum Sieg.

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