Ja, ich gestehe: Ich bin ein begeisterter Digital Resident und für viele Menschen in meinem Bekanntenkreis ist es oft schwierig zu erfassen, was mich am Social Web so fesselt. Diesen Erklärungsnotstand kenne ich, versuche ich doch schon seit zwanzig Jahren zu vermitteln, was PR ist. Da ich immer schon Internet-affin war, habe ich für meine […]
Ja, ich gestehe: Ich bin ein begeisterter Digital Resident und für viele Menschen in meinem Bekanntenkreis ist es oft schwierig zu erfassen, was mich am Social Web so fesselt. Diesen Erklärungsnotstand kenne ich, versuche ich doch schon seit zwanzig Jahren zu vermitteln, was PR ist. Da ich immer schon Internet-affin war, habe ich für meine Masterarbeit meine PR-Erfahrung mit der Onlinewelt verbunden und mein Wissen systematisiert. PR 2.0: Kommunikation im Social Web war das Thema, die Kernfrage jene, ob wir es mit einem Paradigmenwechsel oder mit altem Wein in neuen Schläuchen zu tun haben. Zum ersten Mal in meinem Leben reite ich auf einem Trend vorne mit und erlebe eine Mischung aus Hochgenuss und Ungeduld.
Mit PR im Social Web hat sich für mich eine neue, faszinierende Welt der Kommunikation aufgetan und ich habe zuweilen Mühe, wenn ich merke, dass Berufskolleginnen und -kollegen sich nicht so richtig für dieses Thema erwärmen können. Dann frage ich mich: Wie kann es sich ein PR-Schaffender, der mehr als fünf Jahre von der Pensionierung entfernt ist, überhaupt leisten sich nicht fundiert mit dem Thema zu beschäftigen? Alleine diese Vorstellung macht mich ganz kribbelig.
Es sind immer die gleichen Erklärungen, die ich höre, wenn sich mein Gegenüber rechtfertigt, warum es sich bisher nicht mit der Kommunikation im Social Web beschäftigt hat: Facebook? Das ist mir zu trivial. Twitter? Dafür habe ich keine Zeit. Social Web? Das sollen die Jüngeren machen, dafür suche ich mir einen Praktikanten.
Aber hallo, liebe Berufskolleginnen und -kollegen, haben wir denn eine Wahl? Wenn sich unsere Zielgruppen in Facebook tummeln, unterschieben wir ihnen dann Niveaulosigkeit und Trivialität und lassen sie links liegen? Nein, unsere Aufgabe ist es doch, uns genau auf jene Menschen einzustellen, die wir ansprechen wollen. Eigentlich völlig logisch, aber bereits Teil einer neuen Denkweise, die wir uns als Broadcaster bisher weniger gewohnt waren.
Haben wir schon einen Karriereschritt ausgeschlagen mit dem Argument, dass wir keine Zeit hätten? Wir kommen nicht darum herum, unsere Prioritäten umzustellen, uns die Zeit zu nehmen und zu lernen, was neu ist im Social Web und was das für unseren Beruf bedeutet. Hier geht es übrigens nicht einmal um einen Karriereschritt, sondern schlicht darum, ober wir auch in Zukunft in unserem Job noch etwas taugen.
Welchem PR-Schaffenden würde in der klassischen PR einfallen, ein strategisches Gebiet der Kommunikation einfach einem Praktikanten zu übertragen, nur weil hier gerade das eigene Wissen fehlt? Wir verfügen über langjährige Berufserfahrung und den richtigen Riecher, wie man mit der Unternehmensspitze sowie mit Interessensgruppen umgeht und die Kommunikation optimal gestaltet. Und das alles sollen plötzlich, nur weil wir uns im Social Web bewegen, jüngere und weniger erfahrene Mitarbeiter tun?
Da fehlt mir schlicht und ergreifend das Verständnis. Ihr gestandenen PR-Schaffenden, steht auf, nehmt alle eure Erfahrungen zusammen, paart sie mit einer guten Portion Neugier und etwas Mut und macht euch auf. Es erwartet euch eine spannende Welt. Und ihr werdet feststellen wie wichtig es ist, dass ihr auf eure Erfahrung und hoffentlich auch auf eure Ausbildung zurückgreifen könnt. Davon müsst ihr überhaupt nichts wegwerfen. Im Gegenteil, jetzt ist die Gelegenheit, den Staub von der alten PR wegzublasen und mit dabei zu sein, wenn wir die Renaissance der PR erleben. Wer möchte das denn schon verpassen?
Ach ja, noch etwas: Aus meiner Sicht ist die Zeit vorbei, wo wir uns unter Berufskollegen nur für die besten Leistungen und aufgebohrte Cases auf die Schulter klopfen. Wir alle betreten ein Stück weit neues Terrain und das bedeutet, sich auf „trial und error“ einzulassen. Helfen wir uns gegenseitig indem wir den Mut haben auch auszusprechen, wenn mal etwas nicht funktioniert hat. Tauschen wir uns aus über die Grenzen der Machbarkeit und befruchten wir uns gegenseitig mit neuen Ideen. Vorbild ist mir dafür der Social Media Gipfel, den Marcel Bernet und Peter Hogenkamp ins Leben gerufen haben. Alle zwei Monate kommen hier Berufsleute zu Wort, die zu einem ausgewählten Thema ihre Erfahrungen teilen. Der Anlass mit 100 Personen ist jedes Mal innert Minuten ausgebucht. Und warum? Weil hier Kollegen zu Kollegen sprechen, die es wagen, sich nicht selber zu beweihräuchern, sondern auch Stolpersteine und Grenzen aufzuzeigen. Und genau das ist es, was wir in der heutigen Phase brauchen.
Fragen gibt es viele. Meine Antworten finde ich im Social Web in Twitter, Facebook und in den Kommentaren in meinem eigenen und in fremden Blogs. Zwei Drittel der Menschen, mit denen ich mich regelmässig austausche, kommen aus übrigens aus Deutschland. Die Bereitschaft, Wissen zu teilen, ist in den Kreisen, in denen ich mich bewege, enorm gross. So habe für meine Masterarbeit und für die Berufspraxis unglaublich viel von Menschen gelernt, die sich mit dem gleichen Thema, aber aus ihrer ureigenen Perspektive befassen. Ich glaube aber auch an die Wichtigkeit des persönlichen Gespräches. Darum besuche ich regelmässig Veranstaltungen zum Thema wie beispielsweise die Republica oder treffe mich mit Berufskollegen. Diese Art der fachlichen Horizonterweiterung kann ich nur weiterempfehlen.
Geteiltes Wissen ist doppeltes Wissen, habe ich vor nicht allzu langer Zeit gebloggt, und das gilt auch für uns PR-Schaffende. Ein Blog wie dieser hier von Thomas Hutter ist für mich ein Leuchtturm. Wenn ich Fragen habe zu Facebook und Twitter, schaue ich hier vorbei. Ich stelle meine Fragen auf seiner Fanseite oder adressiere ihn mit einem Tweet. Und er ist mir noch nie eine Antwort schuldig geblieben (wir haben uns bis heute übrigens noch nicht persönlich kennengelernt, holen das aber im neuen Jahr nach). Fachliche Leuchttürme wie diesen, gemacht von Menschen, die erst einmal ihr Wissen teilen und nicht zuerst fragen, was es einbringt, brauchen wir mehr. Wir brauchen diese Orientierungspunkte, damit wir den Kurs unserer Kommunikationsschiffe überprüfen und optimieren können. Ich denke, dass auch Berufsverbände die Chance ergreifen und ihre Legitimation erneuern sollten indem sie praktische Hilfestellung anbieten. Sei dies durch Ausbildung oder auch durch Veranstaltungen, bei denen sich Berufsleute austauschen können.
Was ist für PR-Schaffende zu tun? Zu allererst sollten sie lernen loszulassen. Das bedeutet loslassen von der Vorstellung, dass es nur eine Möglichkeit gibt, wie etwas getan werden muss. Loslassen vom Gedanken, dass Wissen Macht bedeutet: Wenn wir geben, bekommen wir auch zurück. So habe ich mich auch gerne bereit erklärt, diesen Blogpost zu schreiben, damit Thomas seine wohlverdienten Ferien machen kann, ohne seine Leser auf dem Trockenen sitzen zu lassen. Wir müssen aber auch loslassen von unserem Anspruch an Perfektionismus, lassen wir uns doch wieder mehr auf Menschen ein als auf Projekte. Mit Authentizität und Empathie kommen wir weiter wie mit jeder Hochglanzbroschüre und tadellos durchgeführten Medienkonferenz. Es gibt viel zu lernen und zu erleben, machen wir uns auf den Weg, denn das Warten ist zu Ende.
Marie-Christine Schindler
Marie-Christine Schindler ist PR-Beraterin aus Leidenschaft und seit 22 Jahren beruflich in der Kommunikation zu Hause. Marie-Christine Schindler ist Inhaberin von mcschindler.com und bietet PR-Beratung, Redaktion und Corporate Publishing an. Sie hat das PR-Handwerk bei Trimedia Communications gelernt, wo sie auch berufsbegleitend alle PR Fachausbildungen bis zur eidgenössisch diplomierten PR-Beraterin abgeschlossen hat. Bei dieser internationalen PR-Agentbur betreute sie, zuletzt als Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung ein umfassendes Portofolio, dazu gehörten die mehrjährige Leitung des Mövenpick Pressedienstes sowie Kunden wie Federal Express, ABB Asea Brown Boveri, Lufthansa AG und Zürich Versicherungen. Anschliessend war Sie auf der PR-Ausbildungsseite tätig, wo sie 14 Jahre in Kommunikation, Organisation und Beratung tätig war, erst beim Schweizerischen Public Relations Institut SPRI und danach bei der Schweizerischen Text Akademie.
Zur Zeit schreibt Marie-Christine Schindler gemeinsam mit ihrem Co-Autor Tapio Liller ein Handbuch für Kommunikationsprofis. PR im Social Web erscheint 2011 im O’Reilly-Verlag.