Wer kennt die Situation auf LinkedIn nicht? Man erhält eine Kontaktanfrage von XYZ, schaut sich das Profil an, findet das allenfalls sogar noch interessant und nimmt die Anfrage an. Kurz danach, spätestens aber nach 24 Stunden, kommt ein erster Verkaufspitch. Hardcore-Selling.
Wer kennt die Situation auf LinkedIn nicht? Man erhält eine Kontaktanfrage von XYZ, schaut sich das Profil an, findet das allenfalls sogar noch interessant und nimmt die Anfrage an. Kurz danach, spätestens aber nach 24 Stunden, kommt ein erster Verkaufspitch. Hardcore-Selling, wie wir das früher von den Inserate-, Wein- und Krankenversicherungsverkäufern per Telefon kannten. Wenn man bei entsprechenden Kaltakquise-Verkäufern nachfragt, hört man häufig, dass sie dieses Vorgehen in Social Selling Seminaren gelernt haben. WTF.
Nun, dieses beschriebene Vorgehen entspricht leider nicht Einzelfällen, sondern vielmehr scheint dies, gerade bei nicht “Social Media”-affinen Menschen, bzw. Verkäufern, der neue Trend zu sein. In sogenannten “Social Selling” Seminaren wird genau dieses Vorgehen behandelt. Windige Anbieter mit selber eher einer tiefen Social Media Kompetenz vermitteln an ein nicht “Social Media”-affines Publikum diese Methodik und akquirieren Teilnehmer für entsprechende Seminare häufig in genau dieser Manier.
Liest man allerdings die Definition gemäss Wikipedia für Social Selling, müsste dabei auffallen, dass dies nicht der “richtige Weg” ist:
Social selling is the process of developing relationships as part of the sales process. Today this often takes place via social networks such as LinkedIn, Twitter, Facebook, and Pinterest, but can take place either online or offline. Examples of social selling techniques include sharing relevant content, interacting directly with potential buyers and customers, personal branding, and social listening. Social Selling is gaining popularity in a variety of industries, though it is used primarily for B2B (business-to-business) selling or highly considered consumer purchases (e.g., financial advisory services, automotive, realty). C2C companies (often referred to as direct selling companies) have been using social selling techniques (i.e. relationship building) since far before the Internet existed. B2B and B2C companies are now adopting many of those techniques as they are translated to social media platforms.
While social selling is sometimes confused with social marketing, there are two key differences. First, social selling is focused on sales professionals, rather than marketing professionals. Second, social selling aims to cultivate one-on-one relationships, rather than broadcast one-to-many messages.
Vereinfacht erklärt, geht es bei Social Selling primär darum, Beziehungen in Social Networks mit Hilfe von Personal Branding, Social Prospecting, Employer Advocacy aufzubauen und ein strategisch eingesetztes Social Listening zu implementieren, um genau im richtigen Moment in eine Konversation einsteigen und Lösungen für eine aktuelle Frage- oder Problemstellung anbieten zu können.
Ebenfalls wichtig zu verstehen ist auch, was Social Selling eben nicht ist. Es geht bei Social Selling nicht darum, Zugang zu möglichen Interessenten zu finden und Fremde unaufgefordert mit privaten Nachrichten oder öffentlichen Mitteilungen wie beispielsweise Tweets zu bombardieren. Diese Methodik ist unabhängig des Modebegriffs Social Selling nichts anderes als SPAM, und SPAM ist auch in allen anderen Bereichen, egal ob Telefon, E-Mail oder sogar per Fax, ein absolutes Unding.
Betrachtet man Social Selling in den unterschiedlichen Teilbereichen, erkennt man vier thematische Hauptkomponenten: Social Prospecting, Personal Branding, Employee Advocacy und Social Relationship Building:
Social Prospecting beinhaltet das Überwachen und/oder Durchsuchen von Social Networks nach Signalen von Kundeninteresse, bzw. sofortiger Kaufabsicht oder qualifiziertem Interessentenstatus basierend auf Branche, Rolle, Geographie usw. So kann beispielsweise ein Versicherungsberater Social Media für wichtige Lebensereignisse und -umstände (z.B. Änderung des Beschäftigungsstatus, Ehe, Geburt eines Kindes, Pensionierung, Tod eines Elternteils) überwachen, die mit einem Bedarf an neuen Versicherungen zusammenhängen. B2B-Ausgangsverkäufer suchen dabei auch häufig auf LinkedIn nach Personen, die ihren Zielkundenprofilen entsprechen. Wikipedia erklärt die Komponenten wie folgt:
Personal Branding ist die Nutzung von Social Media und Social Networks, um die Reputation und Glaubwürdigkeit einer Person aufzubauen. Typischerweise geschieht dies durch die Erstellung überzeugender persönlicher Profile, die die Kompetenz, Glaubwürdigkeit und Integrität einer Person zum Ausdruck bringen. Personal Branding beinhaltet auch die Hervorhebung persönlicher Informationen (z.B. Bildungshintergrund, persönliche Interessen, Religionszugehörigkeit, gemeinnützige Tätigkeit), um mit potenziellen Käufern und Vertriebspartnern eine gemeinsame Basis zu finden. Personal Branding wird häufig zusätzlich verstärkt, wenn Personen durch das Teilen von fundierten Inhalten und Fachbeiträgen Expertenstatus in ihren Themenbereichen erlangen.
Employee Advocacy ist, wenn Vertriebsprofis oder andere Mitarbeiter ihre eigene soziale Präsenz nutzen, um positive Nachrichten, Geschichten und Erkenntnisse über ihr Unternehmen mit ihren Netzwerken zu teilen. Dazu gehören der Austausch und das Teilen von Inhalten, die Beantwortung von Fragen, die Verbindung zu Branchen- oder Themenführern und die Verwendung von branchen- und unternehmensbezogenen Hashtags. Während einige Unternehmen den Mitarbeitern die Freigabe erteilen, ihre eigenen Inhalte zu erstellen und zu bewerben, erstellen viele Unternehmen Richtlinien oder stellen den Mitarbeitern sogar geeignete Inhalte zur Verfügung.
Social Relationship Management ist die Nutzung digitaler Netzwerke als Kanäle zur Pflege der laufenden Kundenbeziehungen. Social Relationship Management – manchmal auch als Social CRM bezeichnet – ist eine Erweiterung des traditionellen Beziehungsmanagements, das sich auf die Kommunikation und das Feedback mit Kunden gegenüber Social Media konzentriert. Social Relationship Management Taktiken beinhalten das Zuhören und Reagieren auf Kundenfeedback online und das erneute Veröffentlichen von benutzergenerierten Inhalten über das Unternehmen. Social Relationship Management legt Wert auf authentische und authentische Verbindungen und die direkte Interaktion mit Interessengruppen in Online-Gesprächen.
Neben einem perfekt aufgebauten Profil gehört die eigene Aktivität in den Social Networks zu den “MUSS-Doings” im Social Selling. Die aktive Präsenz in den Social Networks ist elementar wichtig. Sinnvolle Interaktion mit der Ziel- und Themengruppe ist ein Muss. Kommentare auf themenrelevante Beiträge, ein Like oder “Gefällt mir” auf interessante Themenbeiträge, aber auch das Teilen von Informationen anderer Teilnehmer aus dem Netzwerk, sind Grundlagen einer aktiven Präsenz. Auch wenn diese Aktivitäten mit Aufwand verbunden sind, sind sie sehr wichtig und sollten nicht durch Bots und andere Automatisierungstools erledigt werden. Wenn sichergestellt wird, dass das eigene Profil in branchen- und themenrelevanten Inhalten auftaucht, wird man als wertvollen Kontakt in Social Networks wahrgenommen.
Bei Social Sellling ist es wichtig, elementare Teile bereits von Beginn an Richtig zu machen. Dazu gehört unbedingt “Mehrwert bieten”. Potentielle Kunden müssen mit sinnvollen und wertvollen Informationen und Erkenntnisse zur richtigen Zeit versorgt werden. Dabei sollte keine Verkaufsshow abgezogen werden, sondern wertvolle Informationen erstellt und geteilt werden. Dies wiederum unterstützt das Personal Branding und erlaubt vielen Social Sellern den Stand des Expertenstatus. Das anpreisen der eigenen Produkte oder Dienstleistungen sollte dabei allerdings im Hintergrund stehen, effektive Sales Pitch sind nicht förderlich sondern wirken zu aufdringlich und zu direkt.
Die Social Networks sind voll von guten Inhalten und wertvollen Informationen. Social Media Listening Tools helfen dabei, interessante Informationen zu finden, zu filtern und darauf zu interagieren. Wichtige Trigger beim Social Listening sind Nachfragen nach Empfehlungen oder Problemschilderungen. Häufig ist allerdings eine direkte Interaktion nicht der sinnvollste Wert, die meisten Netzwerke wie LinkedIn, XING, Twitter und Facebook zeigen meistens auch den sozialen Kontext an – vielfach sind Empfehlungen durch gemeinsame Freunde wertvoller als der direkte Sales-Pitch.
Qualität vor Quantität ist die Devise beim Beziehungsaufbau. Das kontinuierliche miteinander in Kontakt bleiben ist wichtig. Ein Like oder ein Kommentar zeigen Präsenz und Wertschätzung. Genauso gehören berufliche und private Veränderungen wie beispielsweise eine Beförderung zu möglichen Interaktionspunkten, die eine persönliche Reaktion erlauben. Ratschläge und Hilfe, die dem Kontakt das Leben erleichtern oder ein Problem lösen, werden gerne entgegengenommen – Sales Pitch sind auch hier eher ein schlechtes Beispiel für Interaktion.
Hardcore Verkäufer, wie wir sie vom Telefonmarketing kennen, werden schnell merken, dass Kaltaquise in Social Networks häufig wenig Erfolg bringt. Im Gegensatz zu “Überrumpelungstaktiken” durch ausgefeilte Telefonverkaufsleitfäden und -scripts, wo der Angerufene direkt reagieren muss, sind Nachrichten in Social Networks in Schriftform. Der Empfänger einer Nachricht hat im Gegensatz zum Telefongespräch entsprechend Zeit, die Informationen zu Hinterfragen, eine Nachricht zu löschen oder komplett zu ignorieren. Das Momentum des Überraschungseffekts entfällt gänzlich.
Beachten man die Punkte zur Definition von Social Selling, die dazu notwendigen Komponenten und die Best Practice Beispiele, erkennt man relativ schnell, dass richtiges Social Selling aufwendig, kontinuierlich und langfristig ausgelegt ist. Getreu dem Motto “das Leben ist kein Ponyhof” sind konsequente und langfristige Aktivitäten notwendig, um in Social Selling erfolgreich zu sein. Der Kalt-Aquise Sales-Pitch dürfte zwar bequem nach dem “quick & dirty”-Prinzip sein, bringt aber mit Sicherheit nicht den gewünschten Effekt und schafft eher Antipathie.
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