Einer meiner besten Kumpel ist stolzer Vater. Zweifacher sogar. 2 kleine Mädchen. Sie freuen sich riesig, wenn ich da bin, denn ich lese ihnen am Abend immer eine Geschichte vor. Ich lese so lange, bis sie eingeschlafen sind. Oder ich schlafe dabei ein – was auch schon vorkam. Aber nicht aus Müdigkeit, sondern weil sich […]
Einer meiner besten Kumpel ist stolzer Vater. Zweifacher sogar. 2 kleine Mädchen. Sie freuen sich riesig, wenn ich da bin, denn ich lese ihnen am Abend immer eine Geschichte vor. Ich lese so lange, bis sie eingeschlafen sind. Oder ich schlafe dabei ein – was auch schon vorkam. Aber nicht aus Müdigkeit, sondern weil sich mein Geist wohl in der Geschichte verlor und sich für die Fantasie und gegen die Realität entschied. Denn dort war es schön. Dort war es abenteuerlich. Dort war es so perfekt. Aber am wichtigsten: dort verstand ich das Leben.
Erich. Eigentlich ein alltäglicher Name. Aber wahrlich kein alltäglicher Mann.
Kein typischer Italiener. Aber eben doch. Mit ehrlichem Lächeln steht er hinter seiner Bar – einer Bar, von der ich immer noch glaube, dass sie im pittoresken Apulien einfach heimlich abgebaut und hier im Herzen Wiens wieder aufgebaut wurde. So viel Flair. So viel Gefühl. So viel Temperament. So weit weg von der gehetzten Stadt.
Ich betrete das Lokal und schmecke das salzige Meer auf meinen Lippen – inhaliere den unverkennbaren mediterranen Duft Italiens tief in meine Lungen ein.
Ein kleines Cafe. Schick verpackte Pasta und edle Weine aufgereiht an den Wänden. Die Besucher begrüßen sich hier per Vornamen und sprechen über Persönliches. Ich sitze hier, trinke aufwendig zubereiteten Cappuccino und schreibe an diesen Zeilen.
Heute geht es um Story-Telling. Ein Instrument, das es schon immer gab, doch mit der Komplexität unserer Zeit wieder an Bedeutung zunimmt. Warum lieben wir Geschichten? Warum lieben Kinder Geschichten? Weil sie Unverständliches verständlich machen. Weil sie unsere Fantasie anregen. Weil sie Totes lebendig werden lassen. Es gibt nichts, was Menschen mehr fesselt, als die Fantasie. Wir lieben es, uns in ihr zu baden. Und noch mehr, wenn wir uns selbst darin wiederfinden und sie fühlen können.
Mein Laptop steht auf dem kleinen, selbst lackierten weißen Tischchen vor mir und ich überlege mir die nächsten Zeilen, als Erich sich mit seinem an Herzlichkeit kaum zu übertreffenden Lächeln an meinen Tisch zubewegt : „Wer arbeitet, muss auch essen.“ Er stellt den mitgebrachte Teller auf den Tisch neben mir ab. Ich bedanke mich – auch wenn ich gar keinen Hunger habe. Irgendwie ist es mir sogar unangenehm, da diese kleine, Quiche-ähnliche Köstlichkeit so wunderbar aussieht.
„Danke. Und was ist das, wenn ich fragen darf?“
Ich bleibe weiterhin regungslos sitzen, doch sehe ich in seinem Blick, dass ich nun essen sollte. Er spricht weiter.
„Das Rezept kommt aus Ugento.“
Mein fragender Blick verrät wohl mein geographisches Unwissen.
„Ugento liegt in der Nähe von Lecce in Apolien. Ganz im Süden. Dort wo die getrennten Meere wie verlorene Geliebte wieder aufeinandertreffen und sich in einem unglaublichen Farbenspiel vereinigen.“
Ich merke, wie ich Lust auf Urlaub bekomme. Aber leider noch keinen Hunger.
„Das Rezept ist ganz einfach: Auberginen, Paprikaschoten, Zucchini, frische Tomaten, Kräuter, Knoblauch. Das alles in einen ausgerollten Blätterteig, 2 Eier, frische Kräuter, Salz, Pfeffer und in den Ofen.“
In meinen Gedanken sehe ich ihn in der kleinen, provisorischen Küche neben der Bar zur Musik Celentanos in Schürze wild gestikulierend kochen.
„Das Rezept habe ich von Donna Adele.“
Mein Blick bleibt starr. Ich weiß natürlich nicht, wer das ist
„Donna Adele…“ Die Melancholie, die in seiner Stimme mitschwingt erfüllt den Raum und erzeugt Gänsehaut.
„Sie hat mir das Rezept vor knapp 10 Jahren selbst beigebracht. Ich war beruflich von Sizilien nach Ugento versetzt worden und fand für mich und meine Familie ein kleines Häuschen mit Blick aufs tiefblaue Meer. Ganz oben auf einem Hügel stand es – als eines von wenigen, die hier gebaut wurden. Viel Holz. Grüne Fensterrahmen. Blumen überall. Das Weiß der Fassade wurde durch die stete salzige Brise, die vom Meer heraufwehte, in ein fahles, aber doch wunderschönes Grau verwandelt.“
Ich beginne zu essen.
„Der Umzug war beschwerlich, denn ich war alleine mit meiner Frau und unserem noch ganz kleinen Sohn. Wir hatten einen Lastwagen gemietet – vollgepackt mit unseren Habseligkeiten, die ich nur mit größter Anstrengung und vor allem alleine in unser neues Haus schleppte. Es war Hochsommer und die Hitze war fast unerträglich.
Und da war sie plötzlich: Donna Adele – die Mieterin des Nachbarhauses. Knapp 60 Jahre alt, von der Sonne verbrannte Haut, vollschlank, gekleidet in ein schlichtes hellrosa Kleid. Die grauen Haare unter einem Kopftuch versteckt, sah sie mich mit dem Blick einer besorgten Mutter an – voll Herzlichkeit und einem Kraft schenkenden Lächeln. Mit rauer Stimme rief sie ihre beiden Söhne herbei und trug ihnen auf, uns zu helfen. Mich winkte sie jedoch mit einem kessen Lächeln, fast spitzbübisch, zu sich. Wie ewig vertraut, hakte sie sich bei mir unter, führte mich hinter ihr Haus und zeigte mir ihren Obst-und Kräutergarten.
Thomas, so etwas hatte ich noch nie gesehen. Es war fantastisch. Überall blühte und wucherte es. Es war ein Meer aus Gerüchen. Meine Augen wanderten über die vielen Beete, Sträucher und Bäume. Nichts, was nicht wuchs. Nichts, was nicht blühte. Es war so wunderschön. Sie nahm mich kichernd bei der Hand, hob einen kleinen Bastkorb vom Boden und ging mit mir von Beet zu Beet. Sie sammelte alles Notwendige ein und ich half ihr, den Korb zu tragen.
Und dann kochte sie, wie ich nie wieder jemanden kochen sah. Mit so viel Leidenschaft fürs Detail aber doch fast grob. Sie kochte für uns – Torta Salata. Bis lange in der Nacht saßen wir alle zusammen. Wir aßen, tranken und lachten und bis zu ihrem Tod 10 Jahre später waren wir eine Familie.“
Mein Teller war leer und ich war plötzlich dort. Am Hügel. Sah, versteckt im Dunkel der Nacht, Erich und seine Familie und die Donna in ihrem Kleid. Viele Kinder. Lachen. Freude. Ich atmete den Duft des Obstgartens ein – er vermischte sich mit der salzigen Meerluft. Ich wollte ein Teil davon sein.
So viele Gefühle. Erinnerungen an unsere Familienurlaube wurden aus meinem Unterbewusstsein laut. Die Sehnsucht, eine eigene Familie zu gründen. Wünsche. Ängste.
Ich trauerte, ohne sie gekannt zu haben. Warum war sie tot?
Alles aus einem kleinen Stück Torte.
Und doch war ich noch lange nicht satt..
Erichs L’Ottavo auf Facebook:
Es ist mein Gefühl, das entscheidet, ob ich kaufe oder eben nicht. Dieses Gefühl kann sich aber erst entfalten, wenn das Produkt verstanden wurde. Egal, wie unkompliziert und einfach es für euch erscheint: visualisiert! Lasst Bilder sprechen! Schluss mit plumpen Sales-Postings. Weckt die Erinnerung in mir! Weckt die Sehnsucht in mir! Nicht manipulierend. Ehrlich. Denn Clickbaiting ist kein Storytelling.
Ein „Die 10 heißesten Social Media Berater. Bei Nummer 5 hab ich geweint“ – Posting erzählt keine Geschichte.
Zeigt mir eure Empathie (Stichwort Targeting – Relevanz).Vergessen wir mal für eine Sekunde, was uns schlaue Marketer und Kommunikationsexperten gelehrt haben. Denken wir über uns selbst nach. Reflektieren wir unsere Bedürfnisse und unser Verhalten.
Warum kaufen wir uns im Sommerurlaub Muschelketten und das 100. Strandhandtuch? Weil sie so schön sind und wir sie unbedingt brauchen? Wohl eher nicht. Weil es uns in der Sekunde gut geht und wir diesen Moment des Glücks verewigen wollten? JA!!! Das positive Gefühl lässt uns kaufen.
Nimm mich mit auf eine Reise in meine Erinnerungen und Sehnsüchte. Dein Produkt eignet sich nicht dafür? Blödsinn. Sorry, aber das stimmt einfach nicht. Es gibt KEIN Produkt, zu dem keine Geschichte erzählt werden kann. Und dann bitte einfach. Komplexität ist super unsexy. Wer will´s schon kompliziert? Niemand. Jeder Mensch hat in seiner Individualität andere Bedürfnisse und ein anderes Verständnis – deswegen: keep it simple. Je einfacher eure Geschichte ist – je einfacher eure Content-Strategie ist, desto schneller wird sie von allen verstanden und desto schneller finde ich mich darin wieder. Social Media Manager müssen Geschichte schreiben! Was so pathetisch klingt, ist Realität – oder sollte Realität sein. Weg von geforderten, eindimensionalen Markenbotschaften und hin zur Authentizität.
So, Schluss für heute. Denn mittlerweile hatte ich neben 4 Stücken Torta Salata auch 5-7 Gläser Grappa – und die Tasten unter meinen Fingern beginnen ihren eigenen Tanz – ohne mich.
Es war ein schöner Abend. Es war abenteuerlich. Es war perfekt. Jetzt verstehe ich das Leben.
Danke Erich.