Influencer Marketing wurde zu einem Sammelbegriff, der beinahe jede Kommunikation durch Dritte an die Zielgruppe beinhaltet. Diese undifferenzierte Betrachtungsweise wird aber weder den Meinungsbildnern, von denen die Rede ist, gerecht – noch erlaubt sie die effiziente Herangehensweise an Kooperationen. Wieso gerade Blogger Relations losgelöst werden müssen wird hier aufgezeigt.
Das erste Blog – oder Weblog – wurde am 13. November 1990 von Tim Berners-Lee gestartet und diente dem Informationsaustausch von Wissenschaftlern am europäischen Kernforschungszentrum in Genf. Auch wenn damals der Begriff «Blog» noch nicht geboren war, wurde dort der Grundstein zum Web 2.0 gelegt.
Mitte der 90er-Jahre landete das Bloggen in der Mitte der Gesellschaft und die Zahl der Online-Tagebücher wuchs rasant an. Viele davon existieren auch heute noch – beispielsweise «Scripting News», welches 1997 gelauncht wurde und mit dazu beigetragen hat, dass sich der Begriff «Blog» etabliert hat.
Anfang 2021 wurden allein bei den drei Anbietern WordPress, Tumblr sowie Googles Blogger knapp 600 Millionen Blogs gehosted und ungefähr 7.5 Millionen Beiträge täglich veröffentlicht.
Nehmen wir den Begriff «Influencer» wörtlich, stellt auch der Blogger einen Influencer dar – beide beeinflussen die Meinungsbildung der Menschen. Dennoch müssen die Gruppen klar voneinander abgegrenzt werden, um die Form der «Meinungsmache» angemessen betrachten zu können. So zielen Blogger nicht primär darauf ab, Meinungen oder Entscheidungen zu beeinflussen, sondern sorgen durch einen Informations- und Wissenstransfer für eine differenzierte Meinungsbildung. Hier zeigt sich einer der grössten strategischen Unterschiede: Blogger sind durch ihr gesamtes Handeln im PULL-Ansatz zu verorten, da Entscheidungen der Leser die Folge dieser differenzierten Meinungsbildung sind. Influencer hingegen setzen auf den unmittelbaren Kaufanreiz bei ihren Followern.
Des Weiteren sind Blogger meist auf ihre Kernthemen spezialisiert und besitzen dadurch eine weit höhere Authentizität und Glaubwürdigkeit als Influencer. Sehr schöne Beispiele für dieses gelebte Expertentum finden wir unter anderem in den Bereichen Gardening, Food oder Interior.
Eine Erhebung der Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung (b4p|GIK) ergab bereits 2018, dass mehr als 50 % der Internetnutzer Blogger für glaubwürdig halten, während dies bei Influencern nur von 7.5 % der befragten Personen angegeben wurde. 19.5 % hielten Influencer für «ein bisschen glaubwürdiger» als klassische Werbemittel (Quelle: Gik.media).
Aus strategischer Sicht ist für Unternehmen insbesondere ein Punkt relevant, der direkt in die Planung von Marketing-Aktivitäten einfliesst: der Wirkeintritt. Während das Influencer Marketing durch das hohe Tempo der sozialen Netzwerke für schnelle Spitzen sorgt, zielen Blogger Relations auf ein längerfristiges und nachhaltigeres Ergebnis ab. Blogartikel sind in der Regel umfangreicher, informativer und «schwerer» zu konsumieren als Fotos und Videos auf Instagram. Die Betrachter nehmen Blogartikel nicht im Vorbeigehen wahr, sondern rufen diese bewusst auf und konzentrieren sich ablenkungsfrei auf die gebotenen Informationen.
Influencer Marketing und Blogger Relations weisen also gleichermassen Potenzial für Synergien auf, dürfen aber aufgrund ihrer grundlegenden Unterschiede nicht in einen Topf geworfen werden: Das Ergebnis schmeckt niemandem.
Ein schnell zusammengeschnibbelter Eintopf aus Blogger Relations und Influencer Marketing ist für den Erfolg so nachhaltig und wohlschmeckend wie die Verwendung von Plastikbechern statt Kaffeetassen. Marketer müssen stets bedenken, dass Influencer der direkten Beeinflussung ihrer Zielgruppe dienen und Blogger hauptsächlich über Informationen statt über Bilder kommunizieren und so wie Journalisten betrachtet werden müssen.
Die folgenden Eckpunkte zeigen, was Unternehmen bei der Konzepterstellung besonders beachten sollten:
Es gibt trotz aller Unterschiede auch Aspekte, die sowohl bei Bloggern als auch Influencern relevant sind und dennoch häufig vernachlässigt werden: Beide Meinungsbilder basieren auf dem Vertrauen ihrer Zielgruppen und benötigen dementsprechend auch das Vertrauen von Unternehmen, um möglichst frei von Vorgaben und Regeln den bestmöglichen Content erstellen zu können. Denn Vorgaben überschreiten schnell die Grenze, ab der die Menschen Beiträge von Bloggern und Influencern als werblich wahrnehmen, wodurch die Glaubwürdigkeit gegenüber der Zielgruppe massiv abnimmt.
Dass Unternehmen hierbei Sorge haben, dass ein Beitrag eventuell Kritik beinhaltet oder nicht gefällt, ist verständlich – aber es ist eben das (irrelevante) «Problem» des Unternehmens. Blogger und Influencer erstellen Content, der bei der Zielgruppe wirkt und gut ankommt. Dieser Unterschied zwischen gewünschter und tatsächlicher Wirkung bei der Zielgruppe ist aber ein alltägliches Problem. Wie oft betrachten Unternehmen ihre Werbeaussagen aus unternehmerischer «so wünschen wir uns das»-Perspektive und sind dann erstaunt, wenn die Zielgruppe die Werbung anders auffasst? Blogger und Influencer finden ihre Fanbase durch ihre Art zu kommunizieren und gewinnen so das Vertrauen – und genau darum geht es.
Ebenfalls benötigen Blogger und Influencer selbstverständlich das Produkt, die wichtigsten Eckdaten dazu sowie ein Briefing, in welchem entscheidende Informationen festgehalten werden: Existiert ein spezielles Wording, welches im Kontext zum Produkt verwendet werden soll? Gibt es Produktbesonderheiten, welche in den Fokus gestellt werden müssen? Gibt es Begriffe, welche nicht in Verbindung zum Produkt verwendet werden dürfen? Diese Briefings sollten in den Konzepten erfasst werden und ein elementarer Bestandteil jeglicher Kooperation sein. Im Zweifel hilft es, bei den Kooperationspartnern nachzufragen. Keine Scheu: Blogger und Influencer wissen, was sie für ihre Arbeit brauchen!
Auch im Jahr 2022 haben Unternehmen noch nicht vollumfänglich verstanden, wie Blogger Relations funktionieren und wieso diese nicht mit dem Influencer Marketing zu einem ungeniessbaren, klebrigen Brei im Marketing-Mix-Buffet verkocht werden sollen.
Hört man sich um, beklagen sich Blogger (zu Recht!) über Unternehmen und Unternehmen (ebenfalls zu Recht!) über Blogger. Wenig wertschätzenden Anfragen von Unternehmen stehen zuweilen semi-erpresserische Forderungen von Influencern gegenüber. Einigen sich Unternehmen mit Bloggern oder Influencern, trifft auch schon mal ein gigantomanisches Anspruchsdenken der Unternehmen auf mindere Qualität bei der Text- und Bilderstellung – nicht selten in Tateinheit mit einer grandiosen Fehleinschätzung der Meinungsbilder.
Aber wäre Marketing einfach, würde es ja bekanntlich Fussball heissen. Marketing-Verantwortliche und -Mitarbeitende müssen anfangen, brach liegendes Potenzial zu aktivieren. Es gibt viele digitale Bereiche, welche noch nicht effizient angegangen werden. Doch die Mühe lohnt sich, denn im Grunde ist es für Unternehmen einfach, sich Wettbewerbsvorteile zu sichern: Eine Prise Mut und ein Quäntchen «um die Ecke denken» genügen.
Die Autorin Sissi St. Croix brachte es bereits 2016 in ihrem Blogzine-Artikel «Vorsicht, Blogger!» treffend auf den Punkt: «Blogger Relations stehen nach wie vor ganz am Anfang. Viele Firmen müssen noch ebenso viel dazulernen wie wir Blogger auch.»